ERP-Auswahl im Zeichen der Corona-Krise: Was mittelständische Unternehmen jetzt beachten sollten
Die anhaltende Corona-Krise stellt zahlreiche Unternehmen des Mittelstands vor große Herausforderungen. Nur einige Beispiele sind Störungen der Lieferketten, Umsatzeinbrüche, neue gesetzliche Vorgaben und Personalengpässe. Wer in diesen Zeiten auf ein modernes und flexibles ERP-System zurückgreifen kann, hat klare Vorteile. Wem die ERP-Auswahl hingegen noch bevorsteht, kann aus den momentanen Gegebenheiten einige wichtige Schlüsse ziehen. Denn Covid-19 führt uns überaus deutlich vor Augen, welche ERP-Auswahlkriterien Priorität haben sollten.
ERP und die Corona-Krise: Das sind die Learnings
Seit März 2020 befindet sich der deutsche Mittelstand im Ausnahmezustand. Teils schmerzlich mussten Unternehmen erfahren, wie fragil Märkte und internationale Lieferketten sind. Ebenso offenbarte die Corona-Krise, an welchen Stellen organisatorische Mängel und Schwachstellen in der IT-Landschaft bestehen. Insbesondere starre, unklar definierte und manuelle Prozesse stellen seither ein massives Problem dar. Auf Ebene der Führungskräfte und Manager offenbaren sich zudem Schwierigkeiten aufgrund fehlender Transparenz. Ursächlich sind oftmals Daten aus verteilten Systemen, deren Aktualität und Belastbarkeit fragwürdig ist.
Problematisch war insbesondere die enorme Dynamik, mit der die Corona-Krise zu Veränderungen geführt hat. Unter anderem traten folgende Szenarien sehr kurzfristig in Erscheinung:
- Starke Nachfrageschwankungen
- Lieferengpässe, Ausfall von Lieferanten
- Interne Kapazitätsengpässe (auch durch neue Quarantäne- und Hygieneregeln)
- Änderung gesetzlicher Rahmenbedingungen (z. B. befristete Senkung der Umsatzsteuer)
- Plötzliche Notwendigkeit des digitalen Arbeitens
Wer sich aktuell vor der ERP-Auswahl befindet, kann aus diesen Aspekten durchaus interessante Rückschlüsse ziehen. Welche ERP-Auswahlkriterien aufgrund der „Corona-Learnings“ besonders in den Fokus rücken, möchten wir im Folgenden näher beschreiben.
Nachfrageschwankungen: Belastbare Daten und flexible Produktionsplanung bedeutsam
Gewisse Schwankungen in der Nachfrage gehören zum Normalbetrieb - die extremen Ausschläge aufgrund der Corona-Pandemie jedoch nicht. Zahlreiche Betriebe verzeichneten einen signifikanten Nachfragerückgang, während andere sogar zusätzliche Großaufträge verbuchten. Problematisch sind Schwankungen dieser Art in mehrerlei Hinsicht. Zunächst erfordern sie es, die Produktion kurzfristig anzupassen. Passend dazu sind Angleichungen der Lagerbestände und Veränderungen der Nachschublieferungen erforderlich. Jede Entscheidung wirkt sich also schrittweise auf die gesamte Lieferkette und auch auf die Liquidität aus. Es ist daher Fingerspitzengefühl gefordert.
Um unter diesen erschwerten Gegebenheiten richtig zu entscheiden, sollten wichtige Eckdaten wie offene Aufträge, prognostiziertes Auftragsvolumen, Bestände und Lieferfähigkeit der Vorlieferanten möglichst in Echtzeit vorliegen. Ebenso wichtig ist es, dass der aktuelle Stand der Produktion jederzeit transparent ist und kurzfristige Veränderungen realisierbar sind.
Hieraus ergeben sich mehrere Rückschlüsse für die ERP-Auswahl. Zunächst sollte die Software alle relevanten Daten aus den Bereichen Auftragsmanagement, Produktion, Lager und Einkauf liefern. Hilfreich können auch Forecasts zur Auftragslage sein. Im Optimalfall beinhaltet das System zudem feingliedrige Funktionen für die Produktionsplanung und -steuerung. Hierdurch lässt sich die Auswirkung von kurzfristigen Anpassungen simulieren, wodurch bessere Entscheidungen möglich sind. Nicht zuletzt sind Funktionsbausteine für das Supply Chain Management (SCM) hilfreich. Ideal ist es in diesem Kontext, wenn sämtliche Partner entlang der Lieferkette digital vernetzbar sind.
Lieferengpässe: ERP-gestütztes Lieferantenmanagement und SRM im Fokus
Auch hinsichtlich der Lieferketten hat Corona neue Erkenntnisse mit sich gebracht. Insbesondere wurde deutlich, dass sich regionale Nähe zu den Lieferanten in Krisenzeiten auszahlt. Ebenso zeigte sich, wie groß die Risiken einer Single-Sourcing-Strategie sind. Viele Betriebe werden ihre Einkaufsstrategie aufgrund dieser Erkenntnisse zukünftig anpassen.
Für eine bevorstehende ERP-Einführung bedeutet dies, dass folgende Funktionen an Bord sein sollten:
- Unterstützung von Multilieferantenstrategien
- SRM-Funktionen (Supplier Relationship Management) zur Beurteilung der aktuellen Situation wichtiger Lieferanten
- Auswertungen, Kennzahlen und (BI-)Reports zu einkaufsrelevanten Daten wie Lieferantenrisiken, Lieferfähigkeit und Liefertreue
Kapazitätsengpässe: ERP sollte Feinplanung unterstützen
Zu den ohnehin angespannten Kosten und einer dünnen Personaldecke gesellten sich durch die Corona-Pandemie zusätzliche Herausforderungen in der Fertigung. Vielerorts wird nur mit reduzierter Mannschaftsstärke produziert. Zudem sind strenge Hygiene- und Abstandsregeln zu beachten. Dies erfordert einen sorgsamen Umgang mit den begrenzten Kapazitäten.
In die Liste der ERP-Auswahlkriterien sollte demnach eine Feinplanung bzw. eine APS-Komponente (Advanced Planning and Scheduling) enthalten sein. Denn entsprechende Tools unterstützen Produktionsplaner mit Analysen, Visualisierungen und Simulationen dabei, auch bei angespannten Situationen richtige Entscheidungen zu treffen.
Änderung gesetzlicher Rahmenbedingungen: Flexibilität als bedeutsames ERP-Auswahlkriterium
Ein weiterer Effekt großer Krisen wie der Corona-Pandemie ist das kurzfristige Eingreifen des Staates. Ein Beispiel ist die Senkung der Umsatzsteuer zur Stützung der Konjunktur. Für eine bevorstehende ERP-Einführung folgt daraus, dass potenzielle Systeme bei Änderungen dieser Art leicht anpassbar sein sollten. Andernfalls ist der Aufwand groß. Steuerkennzeichen ändern, Rechnungslayout anpassen, Steuerfindung neu konfigurieren, Kassensysteme ändern, ggf. Bilanzkonten neu anlegen: Dies sind nur einige Punkte der To-do-Liste im Falle steuerlicher Veränderungen. Leistungsfähige ERP-Anbieter unterstützen ihre Kunden im Regelfall mit Updates und Anleitungen.
Notwendigkeit des digitalen Arbeitens: ERP als Corona-Krisentool
Flexibles, ortsunabhängiges Arbeiten galt in vielen Unternehmen bislang eher als Luxus oder Zukunftsvision.
Im Zuge der Corona-Krise wurde die „neue Arbeitswelt“ jedoch urplötzlich zur einzigen Möglichkeit, Geschäftsprozesse weiterhin am Laufen zu halten. Digitalisierte Arbeitsabläufe und mobil zugängliche Systeme erwiesen sich als notwendig und hilfreich.
Allgemein ist davon auszugehen, dass die Digitalisierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt durch Corona einen enormen Vorschub erhalten wird. Für die ERP-Auswahl muss daher gelten: Die neue Software sollte orts- und endgeräteunabhängig einsetzbar sein. Auch das Vorhandensein mobiler Apps ist häufig ein ERP-Auswahlkriterium. Nicht zuletzt sind intuitive Bedienbarkeit und nachvollziehbar aufgebaute Workflows („Prozessleitplanken“) unerlässlich, um eine reibungslose Zusammenarbeit verteilter Teams sicherzustellen.
ERP-Einführung während der Krise?
Insgesamt wirkt die Corona-Krise wie eine Art Katalysator für bislang aufgeschobene Digitalisierungs- und Modernisierungsprojekte. Und sie belegt abermals die Tatsache, dass ERP das Rückgrat der Digitalisierung ist. Doch wann sollten sich Unternehmen mit der ERP-Einführung beschäftigen?
Möglicherweise ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, ein ERP-Projekt zu starten. Einerseits steht mittlerweile fest, welche Kriterien ERP-Software erfüllen muss, um Unternehmen krisensicher aufzustellen. Auf der anderen Seite sind derzeit vielerorts zeitliche Freiräume vorhanden, um sich in Ruhe um die ERP-Auswahl sowie um die Digitalisierung und Optimierung von Prozessen zu kümmern. Ebenso ist aufgrund des reduzierten Arbeitsaufkommens eine konzentrierte, ausführliche Einarbeitung möglich. Nicht zuletzt sind Unternehmen, die jetzt eine moderne ERP-Lösung implementieren, optimal auf den Neustart und die digitale Zukunft vorbereitet.
Wichtig ist es, im Vorfeld sämtliche Anforderungen in Form eines ERP-Lastenhefts strukturiert zu definieren. Hierbei darf nicht nur der Kenntnisstand vor Corona ausschlaggebend sein. Vielmehr sollte das Lastenheft die Learnings der Pandemie miteinbeziehen. Denn wem dieser Kunstgriff gelingt, stellt für die bevorstehende ERP-Einführung schon jetzt die Weichen auf Erfolg.